Die Galoschen des Glückes – 4. Ein Hauptmoment (H. C. Andersen)

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Die Galoschen des Glücks – IV. Ein Hauptmoment

Hörbuch Galoschen des Glückes Andersen

Die Galoschen des Glückes 4. Ein Hauptmoment – Hans Christian Andersen – Märchen für Kinder

Inhalt / Zusammenfassung

Nachdem im Hospital dem Nachtwächter die Galoschen ausgezogen wurden, gelangen diese an einen jungen Mann. Dieser arbeitete im Hospital und blieb gleich zu Anfang mit seinem Kopf in einem Gitter stecken. Später im Theater ermöglichen ihm die Galoschen eine Reise durch die Herzen der Zuschauer. Zuallerletzt verbrennt er sich auch noch in einer Sauna, eines russischen Bades, den Rücken. Nun denkt er schlicht, er wäre verrückt geworden.

Eine höchst ungewöhnliche Reise.
Ein jeder Kopenhagener weiß, wie der Eingang zum Friedrichshospital in Kopenhagen aussieht; da aber wahrscheinlich auch einige Nichtkopenhagener diese kleine Schrift lesen, müssen wir eine kurze Beschreibung davon geben.
Das Hospital ist von der Straße durch ein ziemlich hohes Gitter geschieden, in welchem die dicken Eisenstäbe so weit von einander abstehen, daß, wie man sich erzählt, sich sehr dünne Leute hindurchgeklemmt und so ihre kleinen Besuche außerhalb abgestattet haben. Der Teil des Körpers, der am schwierigsten hinauszubringen war, war der Kopf; hier, wie oft in der Welt, waren also die kleinen Köpfe die glücklichsten. Dieses wird als Einleitung genug sein.
Einer der jungen Leute, von dem man nur in körperlicher Hinsicht sagen konnte, daß er einen großen, dicken Kopf habe, hatte gerade die Wache an diesem Abend. Der Regen strömte herab, doch ungeachtet dieser beiden Hindernisse mußte er hinaus, nur eine Viertelstunde; das war ja nichts, was er dem Pförtner zu vertrauen brauche, meinte er, wenn man durch die Eisenstangen schlüpfen könne. Da lagen die Galoschen, die der Wächter vergessen hatte; es fiel ihm nicht im mindesten ein, daß es die des Glückes seien, sie konnten in diesem Wetter recht gute Dienste leisten, daher zog er sie an. Nun kam es darauf an, ob er sich würde durchklemmen können, er hatte es früher nie versucht. Da stand er nun.
»Gott gebe, daß ich den Kopf hinaus bekomme!« sagte er, und sofort, obgleich derselbe sehr dick und groß war, glitt er leicht und glücklich hindurch, das mußten die Galoschen verstehen, aber nun sollte der Körper mit hinaus; hier stand er.
»Ach, ich bin zu dick!« sagte er. »Der Kopf, dachte ich, sei das Schlimmste; ich komme nicht hindurch.«
Nun wollte er rasch den Kopf zurückziehen, aber das ging nicht. Den Hals konnte er bequem bewegen, aber das war auch alles. Das erste Gefühl war, daß er ärgerlich wurde, das zweite, daß seine Laune unter Null fiel. Die Galoschen des Glückes hatten ihn in diese schreckliche Lage gebracht, und unglücklicherweise fiel es ihm nicht ein, sich frei zu wünschen, nein, er handelte, und kam nicht von der Stelle. Der Regen strömte herab, nicht ein Mensch war auf der Straße zu erblicken. Die Pfortenklingel konnte er nicht erreichen, wie sollte er nun loskommen! Er sah voraus, daß er hier bis zur Morgenstunde stehen könne, dann mußte man nach einem Schmied senden, damit die Eisenstäbe zerfeilt werden könnten, aber das geht nicht so geschwind, die ganze Knabenschule gerade gegenüber würde auf die Beine kommen, um ihn am Pranger zu sehen, es würde einen ungeheuren Zulauf abgeben. »Hu, das Blut steigt mir zu Kopfe, sodaß ich wahnsinnig werden muß! – Ja, ich werde verrückt! O, wäre ich doch wieder los, dann ginge es wohl vorüber.«
Sieh, das hätte er etwas früher sagen sollen, augenblicklich, sowie der Gedanke ausgesprochen war, hatte er den Kopf los und stürzte nun hinein, ganz verwirrt über den Schreck, den ihm die Galoschen des Glückes eingejagt hatten.
Hiermit dürfen wir nicht glauben, daß das Ganze vorbei war, nein – es wird noch ärger.
Die Nacht verstrich und der folgende Tag mit, es wurde nicht nach den Galoschen geschickt.
Am Abend sollte eine Vorstellung auf einem Liebhaber-Theater gegeben werden. Das Haus war gepfropft voll; unter den Zuschauern befand sich der junge Mann aus dem Hospital, der sein Abenteuer der vergangenen Nacht vergessen zu haben schien; die Galoschen hatte er angezogen, denn sie waren nicht abgeholt worden, und da es auf der Straße schmutzig war, konnten sie ihm ja gute Dienste leisten. Ein neues Gedicht, »Die Brille der Muhme«, wurde vorgetragen. Das war eine Brille, wenn man diese aufgesetzt hatte und vor einer großen Versammlung von Menschen saß, so sahen die Menschen wie Karten aus, und man konnte aus diesen alles, was im kommenden Jahre geschehen werde, prophezeihen.
Der Gedanke beschäftigte ihn, er hätte wohl eine solche Brille haben mögen; wenn man sie richtig gebrauchte, könnte man vielleicht den Leuten gerade in die Herzen hineinschauen, das wäre eigentlich noch hübscher, meinte er, als zu sehen, was im nächsten Jahre geschehen werde, denn das bekomme man doch zu wissen, das andere dagegen nie. »Ich denke mir nun die ganze Reihe von Herren und Damen auf der ersten Bank, – könnte man ihnen gerade in das Herz sehen, ja, da müßte eine Öffnung, eine Art von Laden sein; wie sollten meine Augen im Laden herumschweifen! Bei jener Dame dort würde ich sicher einen großen Modehandel finden, bei dieser da ist der Laden leer, doch würde es ihm nicht schaden, gereinigt zu werden. Würden da auch gute Läden sein? Ach ja,« seufzte er, »ich kenne einen, in dem ist alles gut, aber da ist schon ein Diener darin, das ist das einzige Übel im ganzen Laden! Aus dem einen und dem andern würde es schallen: Treten Sie gefälligst näher! Ja, könnte ich nur wie ein kleiner, niedlicher Gedanke hineinschlüpfen!«
Sieh, das war das Stichwort für die Galoschen, der junge Mann schrumpfte zusammen, und eine höchst ungewöhnliche Reise begann mitten durch die Herzen der vordersten Reihe der Zuschauer. Das erste Herz, durch welches er kam, war das einer Dame; doch glaubte er augenblicklich in einer Heilanstalt, in dem Zimmer zu sein, wo die Gipsabgüsse der verwachsenen Glieder an den Wänden hängen; nur war hier der Unterschied der, daß sie in der Anstalt genommen werden, wenn der Kranke hineinkommt, aber hier im Herzen waren sie genommen, und aufbewahrt, indem die guten Personen hinausgegangen waren. Es waren Abgüsse von Freundinnen, deren körperliche und geistige Fehler hier aufbewahrt wurden.
Schnell war er in einem andern Herzen, aber dieses erschien ihm wie eine große Kirche. Die weiße Taube der Unschuld flatterte über dem Altar; wie gern wäre er auf die Knie niedergesunken! Aber fort mußte er, in das nächste Herz hinein, doch hörte er noch die Orgeltöne, und er selbst kam sich vor, als wäre er ein neuer und besserer Mensch geworden, er fühlte sich nicht unwürdig, das nächste Heiligtum zu betreten, welches ihm eine ärmliche Dachkammer mit einer kranken Mutter zeigte. Durch das offene Fenster strahlte Gottes warme Sonne, herrliche Rosen nickten von dem kleinen Holzkasten auf dem Dache, und zwei himmelblaue Vögel sangen von kindlicher Freude, während die kranke Mutter um Segen für die Tochter flehte.
Nun kroch er auf Händen und Füßen durch einen überfüllten Fleischerladen, das war Fleisch und nur Fleisch, worauf er stieß, das war das Herz in einem reichen, geachteten Manne, dessen Name allgemein bekannt ist.
Nun war er in dem Herzen der Gemahlin desselben, das war ein alter, verfallener Taubenschlag. Das Bild des Mannes wurde als Wetterfahne benutzt, diese stand in Verbindung mit den Thüren, und so gingen diese auf und zu, so wie der Mann sich drehte.
Darauf kam er in ein Spiegelzimmer, aber die Spiegel vergrößerten in einem unglaublichen Grade. Mitten auf dem Fußboden saß wie ein Dalailama das unbedeutende Ich der Person, erstaunt seine eigene Größe zu betrachten.
Hierauf glaubte er sich in eine enge Nadelbüchse voller spitzer Nadeln versetzt zu sehen, er mußte denken: »Das ist sicher das Herz einer alten unverheirateten Jungfrau!« Aber das war nicht der Fall, das war ein ganz junger Krieger mit mehreren Orden, von dem man sagte: ein Mann von Geist und Herz.
Ganz betäubt kam der arme Mann aus dem letzten Herzen in der Reihe, er vermochte seine Gedanken nicht zu ordnen, sondern meinte, daß seine allzustarke Einbildungskraft mit ihm durchgegangen sei.
»Mein Gott,« seufzte er, »ich habe gewiß Anlage, verrückt zu werden. Hier drinnen ist es auch unverzeihlich heiß, das Blut steigt mir zu Kopfe!« Und nun erinnerte er sich der großen Begebenheit des vorher gehenden Abends, wie sein Kopf zwischen den Eisenstäben des Hospitals festgesessen hatte. »Da habe ich es gewiß bekommen!« meinte er. »Ich muß bei Zeiten etwas dazu thun. Ein russisches Bad könnte recht gut sein. Läge ich nur erst auf dem höchsten Brette!«
Und da lag er auf dem obersten Brette im Dampfbade, aber er lag da mit allen Kleidern, mit Stiefeln und Galoschen; die heißen Wassertropfen von der Decke fielen ihm ins Antlitz.
»Hu!« schrie er, und fuhr herab, um ein Sturzbad zu nehmen. Der Aufwärter stieß einen lauten Schrei aus, wie er den angekleideten Menschen darin erblickte.
Der junge Mann hatte indes so viel Fassung, daß er ihm zuflüsterte: »Es gilt eine Wette!« Aber das erste, was er that, als er sein eigenes Zimmer erreichte, war, daß er sich ein großes spanisches Fliegenpflaster in den Nacken und eins den Rücken hinab legte, damit die Verrücktheit herausziehen könne.
Am nächsten Morgen hatte er einen blutigen Rücken, das war alles, was er durch die Galoschen des Glückes gewonnen hatte.

Original / Text

Die Galoschen des Glückes Andersen – Märchen für Kinder. Inhalt & Interpretation. 4. Geschichte: Ein Hauptmoment "Eine höchst ungewöhnliche Reise [...]"

Interpretation

Der Erzähler schweift zunehmend in die Kritik am menschlichen Charakter ab. So nutzt er die Einleitung dieser Geschichte, um kurz zu erwähnen, dass die kleinsten Köpfe die wohl glücklichsten seien. Und verweist auch später darauf, dass dies nicht anatomisch zu verstehen sei. Denn als er den jungen Mann vorstellt, um den sich die Erzählung aufbaut, so betont der Erzähler, dass sein großer Kopf nicht mit einem großen Verstand einhergeht. Die Reise des jungen Mannes durch die Herzen der Menschen gibt Gelegenheit, die verborgenen Seiten im Charakter der Menschen aufzuzeigen. Aber auch diese Erfahrung ließ den jungen Mann nur an seinem Verstand zweifeln. Denn bisher fand keiner der Träger der Galoschen das wahre Glück.

Details

Hans Christian Andersens Kunstmärchen sind gemeinfrei. Das Märchen Die Galoschen des Glückes erschien 1863 in 6 Teilen in der Märchensammlung Sämmtliche Märchen. Zu finden ist das Märchenbuch unter Google Book und auf Gutenberg.org. Ebenso gibt es ein kostenloses Hörbuch zum Märchen auf LibriVox.

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BabyDuda

Das bin ich: Vollzeit Arbeitnehmer. Vollzeit Selbstständig. Vollzeit Mutter. Klingt mathematisch unlösbar, ist aber in der Praxis durchaus real. In der Kürze der Zeit einer rasanten Welt, sucht Mancher nach Zerstreuung. In der Arbeit an meinen Blogs finde ich einen Teil dieser Zerstreuung. Davon gebe ich gern etwas ab, sofern Andere diese Interessen teilen...

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