Die Galoschen des Glückes – 2. Wie es dem Gerichtsrat erging (H. C. Andersen)

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Die Galoschen des Glücks – II. Wie es dem Gerichtsrat erging

Hörspiel Kunstmärchen

Die Galoschen des Glücks II. Wie es dem Gerichtsrat erging – Hans Christian Andersen – Märchen für Kinder

Inhalt / Zusammenfassung

Nachdem uns im ersten Teil der Geschichte Ein Anfang der Justizrat Knap und seine Schwärmereien für das Mittelalter vorgestellt wurden, ist es nicht überraschend, dass dieser als Erster die Galoschen des Glücks erhält. Denn scheinbar durch Zufall verwechselt er diese mit seinen eigenen Schuhen. Aber tatsächlich findet er sich im Mittelalter wieder. Nur dass er sich dessen gar nicht bewusst wird. Denn auf seinem Weg durch Kopenhagen wird er zunehmend verunsicherter. Doch alles ist ihm fremd. Jedoch kann er keine Erklärung auf das seltsame Aussehen der Stadt und die eigenartige Sprache der Leute finden.

Später in einem Wirtshaus angekommen unterhält er sich mit einem geleerten Magister. Doch die Unterhaltung über alte Schriften, einen Krieg und schlimmer Krankheit findet aufgrund des unterschiedlichen Zeitalters keinen gemeinsamen Verständigungspunkt. Aber als der Justizrat unter einem Tisch hindurch kriechend versucht die Tür zu erreichen, bekommen ihn an den Füßen zu fassen und ziehen ihm die Galoschen ab.

Es war spät geworden; der Gerichtsrat Knapp, in die Zeit des Königs Hans vertieft, wollte heimkehren, und das Schicksal lenkte es so, daß er anstatt seiner Galoschen die des Glücks bekam und nun auf die Oststraße hinaustrat; aber er war durch die Zauberkraft der Galoschen in die Zeit des Königs Hans zurückversetzt, und deshalb setzte er den Fuß geradezu in Kot und Morast auf die Straße, weil es zu jener Zeit noch kein Steinpflaster gab.

»Es ist ja greulich, wie schmutzig es hier ist!« sagte der Gerichtsrat. »Der ganze Bürgersteig ist fort und alle Laternen sind ausgelöscht.«

Der Mond war noch nicht hoch genug heraufgekommen und die Luft überdies ziemlich dick, sodaß alle Gegenstände ringsumher bei dieser Dunkelheit in einander verschwammen. An der nächsten Ecke hing jedoch eine Laterne vor einem Marienbilde, aber die Beleuchtung war so gut wie keine, er bemerkte sie erst, als er gerade darunter stand, und seine Augen fielen auf das gemalte Bild mit der Mutter und dem Kinde.

»Das ist wohl,« dachte er, »eine Kunstsammlung, wo man vergessen hat, das Schild abzunehmen.«

Ein paar Menschen, in der Tracht des Zeitalters, gingen an ihm vorbei.

»Wie sahen sie doch aus! Sie kamen wohl aus einer Maskerade!«

Plötzlich ertönten Trommeln und Pfeifen, Fackeln leuchteten hell. Der Gerichtsrat stutzte und sah nun einen sonderbaren Zug vorbeiziehen. Zuerst kam ein ganzer Trupp Trommelschläger, die ihre Trommeln recht tüchtig bearbeiteten, ihnen folgten Trabanten mit Bogen und Armbrüsten. Der Vornehmste im Zuge war ein geistlicher Herr. Erstaunt fragte der Gerichtsrat, was das zu bedeuten habe und wer der Mann sei.

»Das ist der Bischof von Seeland!«

»Was fällt dem Bischof ein?« seufzte der Gerichtsrat und schüttelte mit dem Haupte; der Bischof konnte es nicht sein. Darüber grübelnd und ohne zur Rechten oder Linken zu sehen, ging der Gerichtsrat durch die Oststraße und über den Hohenbrückenplatz. Die Brücke, die nach dem Schloßplatze führt, war nicht zu finden, er wurde ein seichtes Ufer gewahr und stieß endlich hier auf zwei Leute, die in einem Boote waren.

»Will der Herr nach dem Holm übergesetzt werden?« fragten sie.

»Nach dem Holm hinüber?« sagte der Gerichtsrat, der ja nicht wußte, in welchem Zeitalter er sich befand. »Ich will nach Christianshafen in die kleine Torfstraße!«

Die Leute betrachteten ihn.

»Sagt mir nur, wo die Brücke ist!« sagte er »Es ist schändlich, daß hier keine Laternen angezündet sind, und dann ist es ein Schmutz, als ginge man in einem Sumpf!«

Je länger er mit den Bootsmännern sprach, desto unverständlicher waren sie ihm.

»Ich verstehe Euer Bornholmisch nicht!« sagte er zuletzt ärgerlich und kehrte ihnen den Rücken. Die Brücke konnte er nicht finden, ein Geländer war auch nicht da. »Es ist eine Schande, wie es hier aussieht!« sagte er. Nie hatte er sein Zeitalter elender gefunden, als an diesem Abend. »Ich glaube, ich werde am besten thun, einen Wagen zu nehmen!« dachte er, aber wo war einer zu finden? Keiner war zu erblicken. »Ich werde nach dem Königs-Neumarkt zurückgehen müssen, dort halten wohl Wagen, sonst komme ich nie nach Christianshafen hinaus!«

Nun ging er nach der Oststraße und war fast hindurch gekommen, als der Mond hervorbrach.

»Mein Gott, was ist das für ein Gerüst, was man hier errichtet hat!« rief er aus, als er das Ostthor erblickte, welches zu jener Zeit am Ende der Oststraße stand.

Inzwischen fand er doch einen Durchgang offen und durch diesen kam er nach unserm Neumarkt hinaus; aber das war ein großer Wiesengrund, einzelne Büsche ragten hervor und quer durch die Wiese ging ein breiter Strom. Einige erbärmliche Holzbuden für holländische Schiffer, nach denen der Ort den Namen Hollandsaue hatte, lagen auf dem entgegengesetzten Ufer.

»Entweder erblicke ich eine Lufterscheinung oder ich bin betrunken!« jammerte der Gerichtsrat. »Was ist das doch? Was ist das doch?«

Er kehrte wieder um in der festen Überzeugung, daß er krank sei; indem er in die Straße zurückkam, betrachtete er die Häuser etwas genauer, die meisten waren nur von Fachwerk und viele hatten nur ein Strohdach.

»Nein, mir ist gar nicht wohl,« seufzte er, »und ich trank doch nur ein Glas Punsch, aber ich kann ihn nicht vertragen; und es war auch ganz und gar verkehrt, uns Punsch und warmen Lachs zu geben, das werde ich der Frau auch sagen. Ob ich wohl wieder zurückkehre und sage, wie mir zu Mute ist? Aber das sieht lächerlich aus und es ist die Frage, ob sie noch wach sind!«

Er suchte nach dem Hause, aber es war gar nicht zu finden.

»Es ist doch erschrecklich, ich kann die Oststraße nicht wieder erkennen, nicht ein Laden ist da! Alte, elende, verfallene Häuser erblicke ich, als ob ich in Roeskilde oder Ringstedt wäre! Ach, ich bin krank! Es nützt nichts, ängstlich zu sein! Aber wo in aller Welt ist des Stadtrats Haus? Es ist nicht mehr dasselbe, aber dort drinnen sind noch Leute auf; ach, ich bin sicher krank!«

Nun stieß er auf eine halb offene Thür, wo das Licht durch eine Spalte fiel. Es war eine Herberge jener Zeit, eine Art von Bierhaus. Die Stube hatte das Ansehen einer holländischen Diele; eine Anzahl Leute, bestehend aus Schiffern, Kopenhagener Bürgern und ein paar Gelehrten, saßen hier im eifrigsten Gespräch bei ihren Krügen und betrachteten den Eintretenden nur wenig.

»Um Entschuldigung,« sagte der Gerichtsrat zu der Wirtin, die ihm entgegenkam, »ich bin sehr unwohl geworden, wollen sie mir nicht einen Wagen nach Christianshafen hinaus besorgen lassen?«

Die Frau betrachtete ihn und schüttelte mit dem Kopfe; darauf redete sie ihn in deutscher Sprache an. Der Gerichtsrat nahm an, daß sie der dänischen Zunge nicht mächtig sei und brachte deshalb seinen Wunsch auf Deutsch an. Dies im Verein mit seiner Kleidung bestärkte die Frau darin, daß er ein Ausländer sei; daß er sich unwohl befinde, begriff sie bald, und brachte ihm deshalb einen Krug Wasser, freilich hatte es etwas vom Seewasser, wiewohl es draußen aus dem Brunnen geschöpft war.

Der Gerichtsrat stützte sein Haupt in die Hand, holte tief Atem und grübelte über alles Seltsame rings um sich her nach.

»Ist das ›Der Tag‹ von heute Abend?« fragte er ganz mechanisch, indem er sah, wie die Frau ein großes Stück Papier fortlegte.

Sie verstand nicht, was er damit meinte, reichte ihm aber das Blatt, es war ein Holzschnitt, welcher eine Lufterscheinung zeigte, die in der Stadt Köln gesehen worden war.

»Das ist sehr alt!« sagte der Gerichtsrat und wurde durch dieses vergilbte Blatt ganz aufgeräumt. »Wie sind Sie doch zu diesem seltenen Blatt gelangt? Das ist höchst merkwürdig, obgleich das Ganze eine Fabel ist! Man erklärt dergleichen Lufterscheinungen dadurch, daß es Nordlichter sind, die man erblickt hat; wahrscheinlich entstehen sie durch die Elektrizität!«

Die, welche ihm zunächst saßen und seine Rede hörten, sahen ihn erstaunt an und einer von ihnen erhob sich, nahm ehrerbietig den Hut ab und sagte mit der ernsthaftesten Miene: »Ihr seid sicher ein höchst gelehrter Mann.«

»O, nein!« erwiderte der Gerichtsrat, »ich kann nur von einem und dem andern mitsprechen, was man ja verstehen muß!«

»Bescheidenheit ist eine schöne Tugend!« sagte der Mann. »Übrigens muß ich zu Eurer Rede sagen: ich habe eine andere Ansicht, doch will ich hier gern mein Urteil zurückhalten!«

»Darf ich wohl fragen, mit wem ich das Vergnügen habe, zu sprechen?« fragte der Gerichtsrat.

»Ich bin Magister der heiligen Schrift!« erwiderte der Mann.

Diese Antwort war dem Gerichtsrat genügend, der Titel entsprach hier der Tracht. »Das ist sicher,« dachte er, »ein alter Dorfschulmeister, ein naturwüchsiger Mann, wie man sie zuweilen oben in Jütland treffen kann.«

»Hier ist zwar eigentlich nicht der Platz zu gelehrten Gesprächen,« begann der Mann, »doch bitte ich, daß Ihr Euch herablasset, zu sprechen! Ihr seid sicher in den Alten sehr belesen!«

»O, ja wohl!« antwortete der Rat, »ich lese gern alte, nützliche Schriften, habe aber auch die neueren recht gern, mit Ausnahme der ›Alltagsgeschichten‹, deren wir in Wirklichkeit genug haben!«

»Alltagsgeschichten?« fragte unser Magister.

»Ja, ich meine diese neuen Romane, die man jetzt hat.«

»O,« lächelte der Mann, »sie enthalten doch vielen Witz und werden bei Hofe gelesen, der König liebt besonders den Roman von Herrn Ivent und Herrn Gaudian, welcher von König Artus und seinen Helden der Tafelrunde handelt, er hat mit seinen hohen Herren darüber gescherzt.«

»Ja, den habe ich noch nicht gelesen!« sagte der Gerichtsrat, »das muß ein ganz neuer sein, den Heiberg herausgegeben hat!«

»Nein,« erwiderte der Mann, »der ist nicht bei Heiberg, sondern bei Godfred von Gehmen herausgekommen!«

»So ist das der Verfasser!« sagte der Gerichtsrat. »Das ist ein sehr alter Name, so hieß ja wohl der erste Buchdrucker, der in Dänemark gewesen ist?«

»Ja, das ist unser erster Buchdrucker,« sagte der Mann.

So weit ging es ganz gut; nun sprach einer der guten Bürgersleute von der schweren Pestilenz, die vor ein paar Jahren regiert hatte, und meinte die im Jahre 1484; der Gerichtsrat nahm an, daß es die Cholera sei, von der die Rede war, und so ging die Unterhaltung ganz gut. Der Freibeuterkrieg von 1490 lag so nahe, daß er berührt werden mußte; die englischen Freibeuter hatten Schiffe auf der Rhede genommen, sagten sie; und der Gerichtsrat, der sich in die Begebenheiten von 1801 recht hineingelebt hatte, stimmte vortrefflich gegen die Engländer mit ein.

Das übrige Gespräch dagegen ging nicht so gut, jeden Augenblick wurde es gegenseitig zum Leichenbitterstyl; der Magister war nicht zu unwissend, und die einfachsten Äußerungen des Gerichtsrats klangen ihm wieder zu dreist und zu überspannt. Sie betrachteten einander, und wurde es gar zu arg, dann sprach der Magister lateinisch, in der Hoffnung, besser verstanden zu werden, aber es half doch nichts.

»Wie ist es mit Ihnen?« fragte die Wirtin, und zog den Rat beim Ärmel; nun kam seine Besinnung zurück, im Laufe der Unterhaltung hatte er alles rein vergessen, was vorangegangen war.

»Mein Gott, wo bin ich?« fragte er, und es schwindelte ihm, wie er daran dachte.

»Klaret wollen wir trinken! Met und Bremer Bier,« rief einer der Gäste, »und Ihr sollt mittrinken!«

Zwei Mädchen kamen herein und schenkten ein.

Er mußte mit den andern trinken, sie bemächtigten sich ganz artig des guten Mannes, er war höchst verzweifelt, und als der eine sagte, daß er betrunken sei, so zweifelte er durchaus nicht an des Mannes Wort, bat sie nur, ihm einen Wagen zu verschaffen, und dann glaubten sie, er spreche moskowitisch.

Nie war er in so roher Gesellschaft gewesen. »Man könnte glauben, das Land sei zum Heidentume zurückgekehrt,« meinte er, »das ist der schrecklichste Augenblick in meinem Leben!« Doch plötzlich kam ihm der Gedanke, sich unter den Tisch hinab zu bücken und dann nach der Thür zu kriechen. Das that er, aber indem er beim Ausgange war, bemerkten die andern, was er vor hatte, sie ergriffen ihn bei den Füßen, und nun gingen die Galoschen zu seinem Glücke ab, und – mit diesen die ganze Bezauberung.

Der Gerichtsrat sah ganz deutlich vor sich eine Laterne brennen, und hinter dieser ein großes Gebäude, alles sah bekannt und prächtig aus, das war die Oststraße, wie wir sie kennen, er lag mit den Beinen gegen eine Pforte hin, und gerade gegenüber saß der Wächter und schlief.

»Du mein Schöpfer, habe ich hier auf der Straße gelegen und geträumt!« sagte er. »Ja, das ist die Oststraße! Wie prächtig hell und bunt! Es ist doch erschrecklich, wie das Glas Punsch auf mich gewirkt haben muß.«

Zwei Minuten später saß er in einem Wagen, der mit ihm nach Christianshafen fuhr, er gedachte der Angst und Not, die er ausgestanden, und pries von Herzen die glückliche Wirklichkeit, unsere Zeit, die mit allen ihren Mängeln doch weit besser sei, als die, in der er vor kurzem gewesen war.

Original / Text

Die Galoschen des Glücks (2.) von Andersen. Märchen Zusammenfassung

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Interpretation

Obwohl dem Gerichtsrat bis zum Schluss nicht bewusst wird, dass er sich wirklich im Mittelalter befand, genügte dies jedoch ihn von seiner Sehnsucht zu dieser Zeit zu heilen. Denn trotz dessen er meinte geträumt zu haben, erschienen ihm die beklemmenden Gefühle der Angst so real, dass er sich in der Wirklichkeit angekommen fühlte. Nun ist es scheinbar so, dass wir der älteren Fee zustimmen könnten, wenn sie warnte, dass das bedingungslose Erfüllen der Wünsche wohl eher Unglück bringen würden. Doch anders betrachtet, kann der Justizrat nun endlich in der Gegenwart sein Glück finden. Was ohne die Erfahrung mit den Galoschen kaum eingetreten wäre. Ohne dies weiter zu kommentieren, werden die Galoschen weiter auf eine neue Reise in die nächste Geschichte geschickt.

Details

Die Galoschen des Glückes von Hans Christian Andersen ist ein Kunstmärchen in 6 Teilen.

Die Galoschen des Glückes, erschienen 1863 in Sämmtliche Märchen, gehören zu den Kunstmärchen von Hans Christian Andersen. Diese sind frei von Urheberrechten in der Märchensammlung Google Book und auf Gutenberg.org. zu finden. Ebenso das Hörspiel ist kostenlos und gemeinfrei, zu finden auf LibriVox.

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BabyDuda

Das bin ich: Vollzeit Arbeitnehmer. Vollzeit Selbstständig. Vollzeit Mutter. Klingt mathematisch unlösbar, ist aber in der Praxis durchaus real. In der Kürze der Zeit einer rasanten Welt, sucht Mancher nach Zerstreuung. In der Arbeit an meinen Blogs finde ich einen Teil dieser Zerstreuung. Davon gebe ich gern etwas ab, sofern Andere diese Interessen teilen...

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